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Vor 13 Jahren von Claudia Kommentare: 2

Mein neuer Weg

Beurteilung: „Nachweis einer Zöliakie mit subtotaler Zottenatrophie Typ Marsch III b. Empfehlung: Glutenfreie Kost.“ Die Diagnose bekam ich im Sommer 2010. Sie kam mit der Post in einem schlichten weißen Briefumschlag. Ich war absolut überzeugt davon, dass es keinen auffälligen Befund geben würde. Als ich den Bericht las war ich stattdessen überrascht, verwirrt, geschockt und alles drehte sich.

Immerhin bekam ich den Arzt kurz darauf zu einem knappen Gespräch ans Telefon. Ernährung umstellen- sofort und für immer, OK… Das glutenfreies Leben aber mehr bedeutet als spezielles Brot und Nudeln zu essen, davon hatte ich in dem Moment natürlich keine Vorstellung. Die nächste Zeit verbrachte ich damit, mir Informationen anzulesen und in Reformhäusern, Bioläden etc. nach glutenfreien Waren zu suchen. Ich war völlig verunsichert was ich Essen durfte und was nicht. Zum Glück bemerkte ich schon nach einigen Tagen, dass ich mich körperlich stabilisierte. Das ewige Grummeln im Bauch, die Durchfälle, die bleiernde Müdigkeit und die Gereiztheit ließen spürbar nach. Ich fühlte mich Energie geladen und stark - so lebendig hatte ich mich sehr lange nicht gefühlt... Vor allem gab es nun eine medizinische Erklärung für mein jahrelanges Leiden. Emotional war diese erste Zeit eine Berg- und Talfahrt zwischen Aktionismus und Freude über eine klare Diagnose bis hin zu tränenreichen Tagen gefüllt mit dem Gefühl die vielen kleinen und großen Änderungen dieses neuen Lebens nicht bewältigen zu können.

Das erste Wochenende mit befreundeten Familien (8 Tage nach der Diagnose) an der Nordsee und der erste Urlaub (zum Glück) in den Schwarzwald waren gespickt mit allerlei Herausforderungen. Ich bin mehr als einmal weinend aus Eiscafés und Restaurants gelaufen, weil alle nach Herzenslust schlemmten und ich mich ausgeschlossen und völlig dämlich fühlte. Wie gerne hätte ich ein leckeres Urlaubseis mit meinem kleinen Sohn geteilt... 

Seitdem sind einige Monate vergangen und ich fühle mich gesund und bin dankbar dafür. Der Umgang mit Essen ist bewusster geworden. Der Alltag des „sich-immer-einen-Schritt-im-voraus-Organisieren“ hat sich gut eingespielt. Wo ich leckeres Brot kaufen kann weiß ich mittlerweile auch; die eigene Backkunst verzeichnet meist auch schmackhafte Erfolge. Meine Familie und Freunde unterstützten mich - auch dann wenn ich zwischendrin traurig oder wütend bin. Ich komme sehr gut zurecht und versuche die Balance zwischen "der-absolut-ernstzunehmenden-Krankheit-mit-der-ich-täglich-konfrontiert-werde" und dem "ich-möchte-mich-frei-unbeschwert-und-vor-allem-nicht-krank-fühlen" zu leben: das ist mein neuer Weg. Zöliakie ist ein Teil von mir geworden, aber ich bin immer noch ich.

Habt ihr auch per Post von eurer Diagnose erfahren? Was waren eure ersten Gedanken?

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Kristin Hey Claudia,
ich habe per Telefon die Diagnose erhalten. Auf Arbeit. Ich wusste ca. wann die Ergebnisse bei meinem Arzt sein würden und hatte aber auch schon die recht sichere Annahme, dass es Zöliakie sein würde. Und trotzdem: Ich musste mir den Nachmittag frei nehmen, weil urplötzlich eine ganze Welle über mich drüber schwappte, weil die letzte noch so kleine Hoffnung weggebrochen war. Es war alles so viel und so schwer und so ungerecht, ...
Inzwischen sind bei mir 6 Monate und 10 Tage vergangen, ich habe die Weihnachtszeit und 3 Geschäftsreisen überlebt und kann erhobenen Hauptes an einer Bäckerei vorbeigehen.
Das alles habe ich meinen Freunden, meinem Lebensgefährten, meiner Familie und einigen Arbeitskollegen zu verdanken, die mich immer wieder aufgebaut, in den Arm genommen und mir Mut und Kraft gegeben haben, das alles durchzustehen und da rein zu wachsen. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen (dieser Blog, der Zöli-Treff, Bekannte,...) hilft einem, mit der ganzen Sache klar zu kommen, es zu akzeptieren und die positiven Seiten zu entdecken.
Danke, dass ihr mir mit euren Geschichten immer so geholfen habt!!!
LG Kristin Vor 13 Jahren
Nina

Ein 100%iges Spiegelbild meiner Erlebnisse! Es ist einerseits toll, wenn man ab Tag 1 merkt, dass es einem körperlich besser geht, andererseits erstmal auch ordentlich erschreckend, eine ernste, chronische Krankheit zu haben. Aber das Schöne ist ja wirklich: Wir werden alle jeden Tag ein bisschen besser im Umgang damit, und jeder, dem wir davon erzählen, ist einer mehr, der Bescheid weiß!

Vor 13 Jahren

Autor

Dieser Artikel wurde von Claudia geschrieben

Claudia (33) lebt glücklich mit ihrer Familie in Köln und ist selbstständige Dekorateurin.

 

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