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Vor 13 Jahren von Kristin Kommentare: 1

Eigentlich ist es ja gar nicht so schlimm…

Ein komischer Mensch. Er wollte keine Brötchen vom Bäcker, verweigert nun trotz Hungers die Suppe zum Mittag und erzählt mir von seinem Sohn und einer seltsamen Krankheit. Aber das gruseligste ist, dass er mir eigentlich von mir selbst erzählt.

Indem er mir die Symptome seines kleinen Jungen erklärt, zeigt er mir auf, dass ich krank bin – etwas, dass ich mich 4 Jahre lang geweigert hatte, zu erkennen. "Eigentlich ist es ja gar nicht so schlimm", habe ich immer gesagt, wenn Freunde mich zum Arztbesuch drängten. Doch in stillen Momenten erkannte ich, dass das nicht der Grund war, warum ich nicht zum Arzt ging.

In Wirklichkeit hatte ich Angst. Angst vor einer Krankheit, die ich eh schon hatte, aber die dann einen Namen bekommen würde. Angst vor dem Tadel des Arztes, da ich diese ganze Sache schon so lange mit mir rumschleppte. Angst, dass er mich deswegen abweisen und auslachen würde. Angst vor so vielem und nicht die Kraft um gegenan zu gehen!

Kraft hatte ich in letzter Zeit eh wenig. Ich war häufig müde, obwohl ich nachts 8 – 13 Stunden schlief. Kraft, Konzentration, Lebensmut,... all diese Dinge waren zu Worten ohne Inhalt verpufft. Irgendwann in den letzten 4 Jahren. Ihre Bedeutung war verschwunden - einfach so, ohne sich zu verabschieden.

Mein Glück ist, dass es Menschen gibt, die Kraft verleihen. Dieses Geschäftsmodell nennt sich Freundschaft und beinhaltet Unterstützung, Zuspruch und ein paar gehörige Tritte in den Hintern. Und so kam es, dass ich in einer Mittagspause zum Telefonhörer griff, um meinen Arzt nach den Ergebnissen der vorangegangenen Untersuchungen zu fragen. Das Telefonat war kurz, denn wir beide waren uns eh schon fast sicher, was es sein könnte. Ich nehme die Nachricht "Zöliakie" sehr ruhig auf – besser als Krebs und erwartet hatte ich es ja eh.

Aber eines hatte ich nicht erwartet: Die kalte, schwarze Welle, die sich unerwartet von hinten auf mich stürzt. Mit ihr kommen die Tränen, das Gewicht auf dem Herzen und diese unendliche Traurigkeit, wie man sie nach einem schweren Verlust spürt. Diese Welle wird mich in der nahen Zukunft häufiger aufsuchen. Doch mit jedem Versuch, mich umzustoßen wird sie schwächer und ich vorbereiteter. Die Last wird leichter und ich schaffe es, die Augen zu öffnen. Ich entdecke Menschen um mich herum. Menschen, die so wie ich und glücklich sind. Außerdem sind da Menschen, die sich für mich informieren, mir helfen und mir beistehen. Es sind Fremde, Freunde und Familienangehörige zugleich. Sie alle stützen mich und mit der Zeit lerne ich, dass auch ich stützen kann.

Heute lache ich der Welle meist entgegen. Ich genieße die Erinnerung an Croissants oder Hamburger. Ich bin dankbar, dass ich diese Erfahrungen gemacht habe und dass ich nun eine andere Welt kennenlernen darf. Dank meiner Zöliakie ist das Essen schöner geworden. Ich bin mir bewusst darüber, was ich in mich aufnehme. Und jeder, der schonmal bewusst tief eingeatmet hat, weiß was ich meine!

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claudia Liebe Kristin und Ihr anderen alle,
"die Welle"- der Vergleich gefällt mir gut. Und ich denke, die meisten die hier vorbeischauen kennen ihre ganz persönliche "Welle" sehr gut. Aber tatsächlich wirft sie einen immer weniger um sondern. Ich empfinde es zumindest so, dass man lernt mehr und mehr auf ihr zu schwimmen und mitzugehen anstatt dagegen anzukämpfen.
In diesem Sinne stürzen wir uns in die sonnig glitzernden Sommerwellen voll schöner Momente :-)))
Vor 13 Jahren

Autor

Dieser Artikel wurde von Kristin geschrieben

Kristin ist 21 und als Flensburgerin ein richtiges Nordlicht. Sie studiert Wirtschaftsinformatik in Kiel und macht nebenbei eine Ausbildung zur IT-Systemkauffrau in Flensburg. Wenn sie mal nicht in der Küche steht und neue Glutenfreiheiten austestet, ist sie mit ihrem Freund im Fitnesscenter, im Schwimmbad oder vorm Computer anzutreffen.

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