Eigentlich ist es ja gar nicht so schlimm…
Ein komischer Mensch. Er wollte keine Brötchen vom Bäcker, verweigert nun trotz Hungers die Suppe zum Mittag. Aber das gruseligste ist, dass er mir eigentlich von mir selbst erzählt.
Essen und Ernährung spielen schon mein ganzes Leben lang eine immense Rolle. In frühester Kindheit begann ich Ballett zu tanzen - Leistungssport - die Beschäftigung mit Essen war also von Kindheit an mein ständiger Begleiter. Allerdings sah ich die Dinge schon damals anders. Während meine Kollegen Kalorien zählten und sich ständig vor Augen hielten, was sie alles nicht essen durften, wo "Verzicht geübt werden muss", machte ich mir Listen, die mir aufzählten, was alles gut für mich war und satt machte. Ich "litt" nie Hunger. Diese Herangehensweise habe ich mein ganzes Leben lang beibehalten - und sie hat mir geholfen in den letzten Jahren viel Neues zu entdecken - ganz neue Dimensionen des Geschmacks zu erleben.
Inzwischen tanze ich schon seit 15 Jahren nicht mehr - die ständige Auseinandersetzung mit Essen ist dennoch geblieben - allerdings hat sie andere Züge angenommen. Ich bin ein Cookaholic, ein Foodie, ein Genußjunkie - welchen Namen man auch immer dem Kinde geben möchte. Ich habe das große Glück von meiner Großmutter die Liebe zum Essen und zum Kochen aber auch das Kochen als solches beigebracht bekommen zu haben. Auch heute kann ich stundenlang mit ihr telefonieren und mich nur über Essen und Rezepte mit ihr unterhalten. Ich liebe Essen! Gutes Essen, leckeres Essen - das sinnliche Erlebnis der Zubereitung aber auch das "sich einfach mal verwöhnen lassen" in einem Restaurant. Umso größer wurde die Herausforderung und die Belastung als ich vor einigen Jahren ständig krank wurde, mein Körper nicht mehr wollte, mein Immunsystem zerschossen und meine Lebenslust im Keller waren. Ein monatelanges Martyrium begann - zahlreiche Ärzte wurden konsultiert, die unglaublichsten Diagnosen standen zwischenzeitig im Raum - auch beängstigende - bis dann irgendwann die Erleichterung einsetzte: Ich bin kein Hypochonder, es gibt eine einfache Erklärung und Antwort auf alle meine Leiden: Ich bin einfach nur Allergiker und zudem noch "Unverträglichkeitsträger". Ich vermeide bewusst Worte wie "Betroffen" oder "Leiden" - denn die Nutzung dieser negativen Assoziationen macht eben diese kleinen Begleiter zu einem "Problem". Ich bin allergisch auf Kasein - also auf jegliche Formen von Milch und Milchprodukten (ganz egal von welchem Tier sie auch stammen mögen). Zudem habe ich eine sehr stark ausgeprägte Glutenunverträglichkeit. Und ich erinnere mich noch genau an den Moment als meine Ärztin mir dies mitteilte, mit weit aufgerissenen Augen und der Frage, ob ich mir darüber im Klaren sei, was dies für mich bedeuten würde - und ich einfach lächelte, weil ich das Ganze gar nicht so schlimm fand. Ich war einfach erleichtert endlich eine Antwort auf meine Probleme gefunden zu haben.
Mir eröffnete sich die Chance, eine völlig neue Welt zu entdecken - kulinarisch betrachtet. Neues zu erfahren, zu erlernen, neue Geschmäcker und Texturen zu erfahren... Welche Bereicherung! Natürlich hätte ich dies auch so gekonnt - aber mal ganz ehrlich: auch ich kam vorher nicht auf den Gedanken zu versuchen Frischkäse aus Tofu selber herzustellen - zu sehr liebte ich Ziegenkäse von meinem Käsehändler.
Die Diagnose ist inzwischen über 2 Jahre her. Die Umstellung fiel mir aufgrund meiner Liebe zum Essen und zu guten Lebensmitteln nicht sonderlich schwer (es ist gar nicht schwer solang man nur mit offenen Augen durch die Welt läuft) - meinem Umfeld schon eher. Aber nach einigen Aufklärungsabenden waren auch Einladungen zum Essen kein Problem mehr. Und meine Liebe zum Essen ist nur noch größer und inniger geworden - man lernt gute Produkte noch mehr zu schätzen; vor allem aber ist mein Geschmacks- und Geruchssinn viel feiner geworden. Und dafür bin ich dankbar. Ich habe inzwischen aus dem "was Leiden schafft" eine neue Leidenschaft entwickelt und diese zu meinem Beruf gemacht.
Dieser Artikel wurde von Bea geschrieben
Bea Schulz lebt und arbeitet in Hamburg. Nach dem Studium der Sozioökonomie arbeitete sie zunächst mehrere Jahre lang als Unternehmensberaterin in der IT-Branche – bevor ihr Körper sie zwang endgültig umzudenken und sich ihr die Chance eröffnete endlich aus ihrer Liebe einen Beruf zu machen. Heute arbeitet sie als Ernährungsberaterin und gibt als Foodcoach ihr Wissen an andere weiter, hilft nach der Diagnose den „neu Herausgeforderten" bei der Umstellung in ein neues, allergenfreies Leben. Zudem coacht sie Gastronomen hinsichtlich Nahrungsmittelallergien und –unverträglichkeiten und bloggt im Internet. Beas Facebook-Seite
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Ein komischer Mensch. Er wollte keine Brötchen vom Bäcker, verweigert nun trotz Hungers die Suppe zum Mittag. Aber das gruseligste ist, dass er mir eigentlich von mir selbst erzählt.
Neben mir vor dem glutenfreien Regal im Reformhaus steht eine andere Kundin. Ich freue mich, dass ich nicht die einzige bin, die hier einkauft.
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Liebe Grüße, Julie Vor 13 Jahren